Dieses Kurz­dossier ist Teil ein­er umfassenden Recherche zu Destruc­tive Cre­ations. Hier kommt ihr zum Stu­dio-Dossier und zu den Kurz­dossiers der anderen Spiele des Stu­dios, Hatred, IS Defense und Ances­tors Lega­cy.

Inhaltswar­nung
Holo­caust-Rel­a­tivierung

Setting

In War Mon­grels desertieren zwei deutsche Wehrma­chtssol­dat­en an der Ost­front auf­grund erlebter Kriegs­gräuel und kämpfen danach aktiv im Wider­stand gegen deutsche Besatzung.

Zur Kon­tex­tu­al­isierung und Wahrschein­lichkeit eines solchen Vor­gangs schildert der Mil­itärhis­torik­er Sönke Neitzel in einem Artikel zum Film „Der Über­läufer”: „Es hat in der Wehrma­cht 30.000 Deser­teure gegeben, über­wiegend im West­en. […] So wie im Roman [Anm.: „Der Über­läufer” von Siegfried Lenz] geschildert, ist es meis­tens aus ein­er Zwangslage her­aus zu Über­läufen gekom­men. Sie waren eher sit­u­a­tiv als inten­tion­al begründet.”

Mythos der sauberen Wehrmacht

Die Aus­gangslage wirkt also arg kon­stru­iert und wäre his­torisch wohl eine absolute Aus­nahme, aber nicht undenkbar. Es stellt sich die Frage, ob die Entwickler*innen den Mythos der „Sauberen Wehrma­cht”, also von Sol­dat­en, die nur Befehle aus­führten und von nichts wussten, benutzen.

In der Tat find­en sich Hin­weise auf eine Etablierung dieses Mythos auf Steam und der Stu­dio-Web­seite:

„ ‚War Mon­grels’ baut auf diesen bei­den gegen­sät­zlichen Prinzip­i­en unser­er Psy­che auf. Unsere Helden, zunächst getrieben von böswilliger Pro­pa­gan­da, find­en schon bald ihre wahre Beru­fung darin, die sich aus­bre­i­t­en­den Nazistre­it­mächte zurück­zuschla­gen, die sie über­haupt erst in diesen inter­na­tionalen Kon­flikt hineinge­zo­gen haben. Die in nur weni­gen Tagen zu Män­nern heran­gereiften Jun­gen schauen den Gräueltat­en des Krieges ins Gesicht und begeben sich in einen Kampf, der weit­ere sinnlose Todes­opfer ver­hin­dern soll.”

Auch in den YouTube-Kom­mentaren zu ihren Entwickler*innen-Tagebüchern stellen Destruc­tive Cre­ations klar, wie sie die Wehrma­cht und die Beteili­gung ihrer ‘Großel­tern­gener­a­tion’ darin sehen, auch und ins­beson­dere im Ver­gle­ich zur Roten Armee und den Allierten:

„Für uns sind sowohl Nazis als auch Kom­mis [sic] Feinde. Aber nicht jed­er in der Roten Armee war ein Tier, und das gilt genau­so für die Wehrma­cht. Bei­des waren keine Frei­willi­ge­n­armeen und wir wollen nie­man­den verurteilen, der gezwun­gen war, sich ihnen anzuschließen. Ins­beson­dere, wenn es sich dabei um die Geschicht­en unser­er Großväter han­delt 🙂 Trotz­dem, Krieg bringt immer die nieder­sten Instink­te an die Ober­fläche, auch die Alli­ierten haben viel gesündigt und darüber wer­den wir auch sprechen.”

Antwort von Destruc­tive Cre­ations auf einen Kom­men­tar unter War Diary #3.

Es sei also die böse Pro­pa­gan­da, welche die bei­den „Helden” in den Kon­flikt gezo­gen hätte und durch die schreck­lichen Ver­brechen hät­ten diese ihre Augen geöffnet und daraufhin Wider­stand geleis­tet. Offen aus­ge­sprochen wird das im Steam-Event “Man­freds Rück­blende” vom 09. August 2021, in dem die ‘plöt­zliche’ Kon­fronta­tion des Sol­dat­en mit Mas­sen­gräbern und toten Zivilis­ten als Wen­depunkt seines Gewis­sens insze­niert wird.

Steam-Event „Man­freds Rück­blende”, deutsche offizielle Über­set­zung, das echte Mas­sen­gräber und ein Lev­el aus dem Spiel gegenüberstellt.

Abge­se­hen davon, dass dieser plöt­zliche Sinneswan­del einen sehr sel­te­nen his­torischen Fall darstellen würde, fällt auf wie ähn­lich die Logik der Vertei­di­gun­gen in den Nürn­berg­er Prozessen häu­fig aufge­baut wurde: man wäre ja geblendet wor­den von den Naz­i­funk­tionären und ins­beson­dere Hitler als großem Ver­führer, habe erst spät von Ver­brechen erfahren oder die Notwendigkeit zum Han­deln erkan­nt, als es zu spät gewe­sen sei. Das ändert jedoch nichts an der Tat­sache, die Neitzel eben­falls fest­stellt: „Für [die Wehrma­cht] sind die Fah­nen­flüchti­gen alles in allem kein großes Prob­lem gewe­sen. Denn mehr als 18 Mil­lio­nen Deutsche erfüll­ten ihre mil­itärischen Auf­gaben bis zum Schluss.”

Aber nicht nur die Moti­va­tion der Pro­tag­o­nis­ten erscheint frag­würdig, son­dern auch die der Entwickler*innen von Destruc­tive Cre­ations zur Darstel­lung von Geschichte:

Der Tod ist eine Zahl?

„Wir, Destruc­tive Cre­ations, haben [diese Web­seite] erstellt, um eine wenig bekan­nte und sel­ten dargestellte Seite des zweit­en Weltkrieges [sic!] zu zeigen. Es ist uns wichtig, Men­schen dazu zu brin­gen, durch [unsere Web­seite] zu stöbern, weil unser bald erscheinen­des Spiel – War Mon­grels – in jenen Begeben­heit­en stat­tfind­et, die in west­lichen Gesellschaften nicht gezeigt oder erzählt wer­den. Alle diese Erin­nerun­gen waren hin­ter dem Eis­er­nen Vorhang fest­geket­tet und wur­den vom sow­jetis­chen Regime unter­drückt, damit sie niemals zu den Fein­den gelangten. Die Zeit­en haben sich geän­dert, und nun kön­nen wir diese Geschicht­en erzählen, was wir auch zu tun gedenken.”

Screenshot eines Ankündigung von Destructive Creations zu den "War Diaries" von "War Mongrels" im englischsprachigen Original. (Transkript in deutscher Übersetzung im Fließtext.)
Screen­shot eines Ankündi­gung von Destruc­tive Cre­ations zu den „War Diaries” von „War Mon­grels” im englis­chsprachi­gen Original.

Hier wird die wis­senschaftlich nicht halt­bare These aufgestellt, in west­lichen Gesellschaften seien diese Ver­brechen bis heute nicht the­ma­tisiert wor­den und dass sie das nun ändern woll­ten. Auch bei King­dom Come: Deliv­er­ance betonte Chefen­twick­ler Daniel Vávra in einem Inter­view sein­erzeit, „ihre” Geschichte könne nur durch sie erzählt wer­den, weil man sich selb­st als „Patri­oten” sieht:

„I would call myself a patri­ot. I love Czech his­to­ry and the land­scape, and rarely do you see its sto­ry told in video games. It’s this par­tic­u­lar land­scape with its his­to­ry that shaped and influ­enced Europe dras­ti­cal­ly. In King­dom Come: Deliv­er­ance we are talk­ing about the Civ­il War [Hus­site Wars] in 15th cen­tu­ry Europe that raged in the Holy Roman Empire. Czech Repub­lic or Bohemia back then was the main coun­try of the HRE and ruled from Prague. We want to intro­duce the play­ers to this extreme­ly inter­est­ing, bloody, and intrigu­ing part of Euro­pean history.”

Ähn­lich wie die Entwickler*innen von King­dom Come: Deliv­er­ance wollen offen­bar auch Destruc­tive Cre­ations die Inter­pre­ta­tion­shoheit über die präsen­tierten his­torischen The­men exk­lu­siv auf ihre Seite ziehen und ignori­eren dabei nur zu gerne tat­säch­liche inter­na­tionale Forschungsstände zugun­sten neurechter und nation­alkon­ser­v­a­tiv­er Nar­ra­tive. Dies liefert Anlass zu großer Besorg­nis, was die Darstel­lung von Geschichte in War Mon­grels ins­ge­samt angeht.

Framing in den „War Diaries”

Auch die „War Diaries” genan­nte, auf YouTube veröf­fentlichte Rei­he an Entwickler*innen-Tagebüchern liefert neben vie­len anerkan­nten Aus­sagen Anlass zur Sorge. Ins­ge­samt wirkt die ganze Serie der Kriegstage­büch­er wie ein umgekehrtes ‚Truth Sand­wich’: Viele anerkan­nte Aus­sagen zum Krieg und der Besatzung im Osten wer­den getätigt, der Holo­caust wird nicht ver­schwiegen. Diese Fak­ten dienen jedoch als Rah­men dafür, auf­fäl­lig oft klarzu­machen, dass „nicht nur die Deutschen (und Ital­ien und Japan)” schlimm waren. Vor allem die Sow­je­tu­nion sei laut Destruc­tive Cre­ations als wahres Übel zu iden­ti­fizieren gewe­sen. Dies wird bspw. durch fol­gen­den YouTube-Kom­men­tar der Entwickler*innen zum sog. Holodomor in der Ukraine in den 1930er Jahren untermauert:

Youtube-Kom­men­tar von Destruc­tive Cre­ations zum Holodomor in der Ukraine.

Der Holodomor, über­set­zt “Mord durch Hunger”,  wird in eini­gen Län­dern inzwis­chen als Ver­brechen gegen die Men­schlichkeit anerkan­nt. Lediglich die Beze­ich­nung als Völk­er­mord ist umstrit­ten (auch die Bun­desre­pub­lik Deutsch­land erken­nt ihn erst seit dem 30.11.2022 als Genozid an). Die immer wieder in den War Diaries aufk­om­mende Behaup­tung, in west­lichen Gesellschaften sei die Erzäh­lung von der Roten Armee als hero­is­che Befreier weit ver­bre­it­et, ist insofern befremdlich. Dabei han­delt es sich doch vielmehr um das in der Sow­je­tu­nion und inner­halb des Eis­er­nen Vorhangs im Kalten Krieg ver­bre­it­ete Nar­ra­tiv. Eine Belehrung west­lich­er Gesellschaften mit ein­er ver­meintlichen neuen Wahrheit durch Entwickler*innen eines Videospiels wirkt bizarr.

Außer­dem nimmt man bezo­gen auf die Alli­ierten eine äußerst kri­tis­che Per­spek­tive ein, die sich aber haupt­säch­lich auf Whataboutisms stützt: so hät­ten die Sieger Geschichte geschrieben und damit seien alli­ierte Kriegsver­brechen ver­schwiegen wor­den. Auch an der Angst vor Schwarzen (!) sei etwas dran gewe­sen. Das Bild der pol­nis­chen Bevölkerung wiederum kön­nte pos­i­tiv­er nicht sein: Helden habe es über­all gegeben und Kol­lab­o­ra­tio­nen mit den Deutschen seien entwed­er unter Zwang ent­standen oder indem Gut­gläu­bige durch Pro­pa­gan­da geblendet wor­den seien. Nicht erwäh­nt wird ein (nicht nur, aber auch in Polen tief ver­ankert­er) Anti­semitismus als Antrieb für Kol­lab­o­ra­tion, was das Bild ‚der Polen’ natür­lich ankratzen würde.

Zudem darf bezweifelt wer­den, ob die The­ma­tisierung des Holo­caust in War Mon­grels angemessen erfol­gt. In einem aktuellen Tweet zum Ver­nich­tungslager Kul­mhof, das auch in ein­er Mis­sion im Spiel vorkom­men soll, wird nicht nur das Wort Holo­caust ver­mieden, son­dern die Vorgänge dort mit einem nation­al­is­tis­chen Dreh ausgeschmückt:

Screenshot eines Tweets von Destructive Creations zu War Mongrels. Der Tweettext lautet: "Young and innocent souls were not spared from slaughter by the Nazi #war machine. Countless Czech and Polish children became victims of Kulmhof on the Ner. They set off for their last journey from the Radegast railway station. The camp was portrayed in a mission of #WarMongrels."
Screen­shot eines Tweets von Destruc­tive Cre­ations zu Konzen­tra­tionslager Kulmhof/Radegast in War Mongrels.

Anstatt klar zu machen, dass in Kul­mhof größ­ten­teils Men­schen (darunter auch Kinder) wegen ihrer jüdis­chen Herkun­ft umge­bracht wur­den, betont man hier die Nation­al­ität dieser Kinder und verz­er­rt damit die Wahrnehmung der Ver­brechen im beset­zten Polen. Wenn man näm­lich zugeben würde, dass es gezielt jüdis­che Opfer waren, müsste man auch eingeste­hen, dass es in der pol­nis­chen Bevölkerung schon vor dem Krieg anti­semi­tis­che Ressen­ti­ments gegeben hat und die Kol­lab­o­ra­tion gegenüber den Besatzern im Bezug zum Holo­caust damit erk­lär­bar wird. Es entspräche der Erken­nt­nis aller beset­zten Län­dern in Europa: Die Bevölkerung war Opfer und Täter zugle­ich. Wie man ver­ant­wor­tungsvoll mit dem Holo­caust in Games umge­hen kann, hat die Stiftung Dig­i­tale Spielekul­tur (Link zum Pod­cast) bere­its erörtert. Das Vorge­hen zum Lager Kul­mhof in War Mon­grels stellt lei­der das absolute Gegen­teil dar.

Rezeption in der Spieleindustrie

Als wären all diese Anze­ichen nicht War­nung genug, ist lei­der auch ein naiv­er Umgang mit dem Entwickler*innen-Team in Teilen der Spielein­dus­trie zu beobachten.

Destruc­tive Cre­ations soll­ten ein von der Dev­com 2020 (Spielentwickler*innen-Konferenz auf der Gamescom) organ­isiertes anti-ras­sis­tis­ches Pan­el am 28.08.2020 hosten. Auf diesem sollte War Mon­grels angekündigt wer­den. Reak­tio­nen und Infor­ma­tio­nen von Antifaschist*innen auf Social Media erfol­gten der­maßen schnell und großflächig, dass die Ver­anstal­ter noch am sel­ben Tag das Pan­el absagten.

Screenshots eineiger Tweets der devcom (@devcom_global) vom August 2020. Links sieht man den Ankündigungstweet, dass ein antirassistisches Panel von Destructive Creations gehostet werden solle. Daneben sind die Screenshots von drei späteren Tweets abgebildet, die folgenden Text beinhalten: "Als devcom-Team liegen uns Diversität und eine offene Gesellschaft sehr am Herzen, was wir unter anderem mit einem Konzert gegen Diskriminierung und Rassismus mit einer großartigen Band öffentlich unterstreichen wollten. Partner des Konzerts war ein Entwicklungsstudio, das allerdings aktuell in der Diskussion steht, durch die teilweise Zweifel an dem wichtigen Ziel der Veranstaltung aufkommen. Um unserem gemeinsamen Anliegen, ein klares Signal gegen Diskriminierung und Rassismus zu setzen, nicht zu schaden, haben alle Partner gemeinsam entschieden, stattdessen ein Ersatzprogramm auszustrahlen, das mögliche Zweifel an unserem Anliegen nimmt. Für mögliche Irritationen bitten wir um Entschuldigung. Als devcom stehen wir für Diversität, für sichere Umgebungen und für ein friedvolles Miteinander. Stephan"
Screen­shots der Tweets des Accounts @devcom_global zum Event von Destruc­tive Creations.

Als Alter­na­tivpro­gramm wurde stattdessen ein Talk mit Entwick­ler Jörg Friedrich (Paint­buck­et Games, Through the Dark­est of Times) aus­ges­trahlt, um dem Pan­elthe­ma so gerecht zu wer­den. Noch am sel­ben Tag kündigte Destruc­tive Cre­ations an, einen Auswe­ichter­min auf einem späteren Event zu halten.

Screen­shot der Ankündi­gung des Auswe­ichter­mins vom DC-Twitteraccount.

Es ist ein­er­seits erstaunlich, wie naiv und sor­g­los man in Teilen der Spielein­dus­trie offen­bar immer noch mit diesen Entwick­lern umge­ht, obwohl deren prob­lema­tis­ch­er Ver­gan­gen­heit seit der Indizierung von Hatred zumin­d­est bekan­nt sein müsste. Lei­der muss man fes­thal­ten, dass der Ver­such der Rein­waschung durch das War Mon­grels vor­ange­gan­gene Spiel Ances­tors Lega­cy mit seinem sub­til­er präsen­tierten, wenn auch nicht weniger prob­lema­tis­chen Geschichts­bild seine Wirkung offen­bar nicht ver­fehlt hat.